Sehr geehrte Abgeordnete der Stadtverordnetenversammlung in Hohen Neuendorf,
voraussichtlich werden Sie in naher Zukunft über einen Satzungstext zu einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im Kernbereich des Stadtteils Hohen Neuendorf zur Abstimmung aufgerufen werden. Als unmittelbar von dem Projekt des 'Grünen Stadtquartiers' betroffene Einwohner, die direkt im Untersuchungs- und späteren Planungsbereich ihren dauerhaften Wohnsitz haben, möchten wir unsere kritischen Gedanken zu diesem Projekt zum Ausdruck bringen. Wir wollen hier aber nicht unsere Eigentümerinteressen in den Vordergrund rücken, sondern Aspekte des Projektes betrachten, die alle Bewohner des Stadtzentrums und darüber hinaus betreffen.
Wir vertreten folgende Thesen:
- Die Voruntersuchung ist auf einen unnötigen und gefährlich großen Bevölkerungszuwachs ausgelegt.
- Folge ist eine Überlastung der Verkehrsinfrastruktur.
- Folge ist eine Überforderung der bestehenden Infrastruktur in den Bereichen Kinderbetreuung und Schulwesen sowie der Gesundheitsbetreuung.
- Die Bebauung ausgerechnet von ökologisch diversen, bisher naturbelassenen Flächen ist eine Bedrohung für den Schutz von Klima, Artenvielfalt und gesundem Wohnen, denen sich Hohen Neuendorf als „grüner I-Punkt von Berlin“ nach seiner eigenen Darstellung verschrieben hat.
- Der Plan verfehlt das Ziel, bezahlbaren Wohnraum für alle Hohen Neuendorfer zu schaffen. Sozialwohnungen sind nicht vorgesehen und die Mietpreisentwicklung zeigt durch den Druck aus Berlin nur nach oben.
- Die Stadt überfordert sich selbst dauerhaft hinsichtlich ansteigender und bleibender Ausgaben für Infrastruktur und Verwaltung. Große Städte mit viel Bevölkerung und wenig Industrie oder Gewerbe sind regelmäßig ärmer als kleinere Kommunen mit mehr Industrie oder Gewerbe.
- Die Finanzierung und der finanzielle Nutzen der Planung sind fragwürdig. Statt des erhofften Gewinns für die Stadt kann es leicht zu einem erheblichen Minusgeschäft werden.
Zur Erläuterung der Thesen im Einzelnen:
Zwischen 2010 und 2015 hat die Wohnbevölkerung in Hohen Neuendorf um 1108 Einwohner zugenommen, das sind 250 bis 300 pro Jahr verteilt auf alle Stadtteile. Das Landesamt für Statistik rechnet mit einem sich selbst entwickelnden Bevölkerungszuwachs in Hohen Neuendorf bis zum Jahr 2030 um 7%. Das wären 1784 Bürger mehr als heute. Dieser Zuwachs entsteht nur durch eine Verdichtung schon bestehender und größtenteils erschlossener Wohnflächen. Durch die geplante städtebauliche Entwicklungsmaßnahme entsteht ein zusätzlicher Bevölkerungszuwachs von bis zu 3000 Menschen, das sind 20,6% der heute hier lebenden Bevölkerung – auf engstem Raum und mit unkalkulierbaren Folgen für die Lebensqualität in der Stadt.
In Hohen Neuendorf kamen im Jahr 2016 auf je 1000 Einwohner der Stadt 535 PKW12. Für die neuen Einwohner im Planungsbereich dürfte das gleiche Verhältnis gelten. Es wäre also mit ca. 1600 neuen PKW im Ortszentrum zu rechnen. (Die auf Infoveranstaltungen genannte Zahl von einem PKW auf fünf Einwohner ist nicht belegt und erscheint uns nicht plausibel.)
Eines der größten Probleme liegt unseres Erachtens in der Verkehrsanbindung des geplanten Stadtquartiers. Die neuen Bewohner links und rechts der Oranienburger Straße (B96) könnten nur über eben diese in das Verkehrsnetz eingebunden werden, da das Planungsgebiet von Bahnlinien, Friedhof und vorhandenen Wohngebieten eingeschlossen ist. Zwar ist es zutreffend, dass für die B96 als Bundesstraße der Bund zuständig ist, jedoch würde die zusätzliche Verkehrsbelastung im gleichen Maße die Zubringerstraßen (Summter Str., Erdmannstr. etc.) treffen. Bereits heute müssen Anwohner im Berufsverkehr mit erheblichen Wartezeiten beim Einbiegen auf die B96 rechnen. Regelmäßig stauen sich Fahrzeuge zwischen den Ampelkreuzungen in Hohen Neuendorf und Birkenwerder.
Zu beachten ist auch die zusätzliche Belastung durch Lärm, Feinstaub sowie Stickoxide, durch die auch die in unmittelbarer Nähe befindlichen Schulen und Kitas betroffen wären.
Am 28.11.2017 hat der Bürgermeister im Stadtentwicklungs- und Umweltausschuss geklagt, dass die Stadt leider keinen Einfluss auf die Verkehrswegeplanung der übergeordneten Instanzen hat und sich schon lange für eine Verbesserung der Situation einsetze. Die geplante Entwicklungsmaßnahme wird all diese Probleme aber erheblich verschärfen.
Aktuell stehen in Hohen Neuendorf 2048 Betreuungsplätze in Kindertagesstätten und bei Tagesmüttern zur Verfügung. Für 3000 neue Einwohner müssten in kurzer Zeit 241 zusätzliche Kitaplätze geschaffen werden. Dazu kämen 183 neue Grundschüler, wobei die für den Bereich zuständige Waldgrundschule mit 599 Schülern bereits jetzt ausgelastet ist. Wenn die Zuzügler überwiegend junge Familien sein sollten, könnten diese Zahlen noch deutlich höher ausfallen. Notwendig wären also der Neubau einer großen Kita und die Erweiterung oder der Neubau mindestens einer Schule. Zudem ist das Schulamt Neuruppin für die Schulplatzvergabe zuständig. Die Überlastung würde wahrscheinlich zu einer Auslastung der Schulplätze außerhalb Hohen Neuendorfs führen. Außerdem besteht bereits jetzt offenkundig ein Lehrkräftemangel. Des Weiteren hätte dies Auswirkungen auf die Frequentierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Es würde also an Ressourcen in mehreren Bereichen mangeln.
Auch die ärztliche Betreuung der neuen Einwohner könnte problematisch sein. Die existierenden Praxen können als gut ausgelastet gelten, manche nehmen bereits jetzt keine neuen Patienten an. Die Zulassung von Ärzten erfolgt über die Kassenärztliche Vereinigung, die diese Zulassungen nicht für einen speziellen Ort, sondern für einen Landkreis insgesamt ausspricht. Da der Kreis Oberhavel als ausreichend versorgt gilt, würde es keine zusätzlichen Allgemeinärzte, Kinderärzte oder andere Fachärzte geben. Sie müssten aus anderen Bereichen des Kreises regelrecht abgeworben werden.
In Zeiten des besonderen Augenmerks auf Klima- und Naturschutz steigt auch bei den Bevölkerungsschichten, die die Stadt gerne erreichen würde, das Bedürfnis nach möglichst ruhigem, naturnahem Wohnraum. Dies ist nicht nur im Hinblick auf Individualinteressen, sondern auch für das Allgemeininteresse an einem ökologisch nachhaltigen Wirtschaften wichtig. Ökologische Bedrohungen wie Insektensterben und Klimawandel verlangen, dass auch und gerade bei der Stadtentwicklung Belange des Umweltschutzes nicht hintenangestellt werden. Ein „Zubauen“ solcher naturbelassenen Flächen läuft diesen Erwägungen jedoch zuwider.
Das Motiv für die Schaffung zusätzlichen und verdichteten Wohnraums besteht erklärtermaßen darin, das für die Bürger von Hohen Neuendorf auch finanziell erschwinglichere Mietwohnungen entstehen sollen. Auch wird gern auf die Wohnungsnot in Berlin verwiesen.
Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Stadt Hohen Neuendorf, die Probleme der Hauptstadt Berlin zu lösen. Vielmehr dürfte die Nachfrage nach Mietwohnungen im Berliner Raum so groß sein, dass es auch in Hohen Neuendorf zu einem erheblichen weitergehenden Anstieg der Mietpreise kommen wird. Wollte die Stadt hier einen wirklich essenziellen Beitrag für erschwingliche Mieten leisten, müsste sie eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft gründen, die die Erschließung der Flächen und den Bau der Wohnungen selbst in die Hand nähme. Diesen Weg beschreitet zum Beispiel seit kurzem die Stadt Berlin mit ihren Plänen zur Errichtung eines neuen Stadtquartiers auf den Buckower Feldern im Süden Berlins. Hier sollen 900 Wohnungen für mehr als 1000 Menschen durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft entstehen, bei denen dann immerhin fast 50 % der Wohnungen dauerhaft als Sozialwohnungen vergeben werden könnten.
Es ist zweifelhaft, ob die Stadt Hohen Neuendorf eine solche leistungsfähige Wohnungsbaugesellschaft zu gründen bereit wäre oder auch nur in der Lage ist, sie zu gründen. Der gegenwärtige städtische Haushalt dürfte dies ohne eine enorme Kreditaufnahme vermutlich kaum gestatten, zumal erst einmal die hohen Kosten des Rathaus-Anbaus zu finanzieren sind. Ein hoher Anteil an Sozialwohnungen würde wiederum die Stadt dauerhaft finanziell belasten, da die gedeckelten Mieteinnahmen kaum die Errichtungs- und dauerhaften Unterhaltungskosten der Wohnungen abdecken würden. Allerdings hat die Stadtverwaltung bereits erklärt, dass Hohen Neuendorf keine Sozialwohnungen bauen will3.
Die Stadt hat für das Jahr 2017 Einnahmen in Höhe von 40,5 Mill. EUR geplant, die zu über 90 % aus Steuern und Umlagen resultieren. 3000 neue Einwohner würden demzufolge 4,3 Mill. EUR Mehreinnahmen aus Steuern und Umlagen ergeben. Hinzu kämen weitere erhöhte Einnahmen aus anderen Steuerarten (zum Beispiel der Grundsteuer B).
Die Anzahl der Einwohner einer Verwaltungseinheit ist jedoch nicht entscheidend für den finanziellen Wohlstand. Wäre dies zutreffend, müssten Städte oder Stadtstaaten wie Berlin oder Bremen am wohlhabendsten sein. Die Wirklichkeit spricht eher für das Gegenteil.
Viele Bürger zu haben, kostet auf lange Sicht für ein Gemeinwesen sehr viel Geld, vermutlich sogar mehr, als diese einbringen. So muss die Stadt Hohen Neuendorf gegenwärtig nur allein etwa 8,1 Mill. EUR jährlich als Zuschüsse für Kindereinrichtungen im Vorschulbereich ausgeben. Auch Schulen, Vereine, Straßenerhaltung und Straßenreinigung sowie vermehrte Verwaltungsaufgaben werden zusätzliche finanzielle Aufwendungen erfordern.
Auf die Stadt kommen in jedem Fall erhebliche neue Ausgaben für Kitaplätze, Schulen, Verwaltung etc. zu. Würden aus der Entwicklungsmaßnahme wirklich genug Mittel übrigbleiben, um solche Projekte zu realisieren? Aus dem Wunschprojekt des Bürgermeisters, mit den Mitteln der Entwicklungsmaßnahme auch noch ein Kulturhaus für die Stadt "abzuzweigen"4, würde dann sicher nichts mehr. Wo sollte letztlich eine weitere Schule errichtet werden, wenn bereits alle bisher freien Flächen im Innenstadtbereich für Wohnzwecke "vermarktet" wären? Wollte man die Schule im Entwicklungsgebiet ansiedeln, würde sehr viel Raum nicht mehr an Investoren verkauft werden können und die Finanzierung der Gesamtmaßnahme könnte scheitern.
Woher sollen die viel zitierten Fördermittel kommen, die man angeblich abrufen kann? Ist den Abgeordneten bekannt, dass das "Bund-Länderprogramm Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen (S-Programm)" im Jahr 2012 letztmalig aufgelegt wurde und neue Antragstellungen nicht mehr möglich sind?
Wir bitten Sie als Abgeordnete der Stadtverordnetenversammlung, Ihre Haltung hinsichtlich der vorgesehenen Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme 'Grünes Stadtquartier' zu prüfen, bevor Sie Ihre Stimme zu einem für die Zukunft der Stadt Hohen Neuendorf so entscheidenden und in seiner Konsequenz dann irreversiblen Beschluss abgeben.
Die entscheidenden Fragen lauten: Welche Vorteile haben die Bürger von Hohen Neuendorf durch das geplante Stadtquartier? Und welche Nachteile und welche Risiken müssen wir dafür in Kauf nehmen?
Wir würden uns freuen, wenn dieses Schreiben zu einem breiteren Diskurs beitragen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ilona Salz, Karl-Martin Salz
1 Quelle: Statistik des Kraftfahrtbundesamtes, abrufbar unter https://www.kba.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Statistik/Fahrzeuge/FZ/2017/fz3_2017_pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=3
2 Quelle: Website Hohen Neuendorf, Zahlen und Fakten, abrufbar unter https://hohen-neuendorf.de/de/stadt-leben/stadt-fakten
3 Zitat: „Es ist kein sozialer Wohnungsbau vorgesehen.“ In: "Wohnen im Zentrum - Vorurteile im Faktencheck" https://www.hohen-neuendorf.de/de/stadt-leben/aktuelles/wohnen-im-zentrum-vorurteile-im-faktencheck
4 Zitat: „hat Bürgermeister Apelt ein Ziel aufgestellt. Er wünscht sich im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme ein angemessenes Bürger- und Kulturhaus für die Stadt.“ siehe "Wohnen im Zentrum - Vorurteile im Faktencheck" auf der Homepage der Stadtverwaltung https://www.hohen-neuendorf.de/de/stadt-leben/aktuelles/wohnen-im-zentrum-vorurteile-im-faktencheck
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Geschrieben von Bärbel Wermke am 09.05. 2018 22:31
Der werbewirksame Slogan vom " grünen Hohen Neuendorf" ist doch schon lange Makulatur. Ich wohne mit meiner Familie seit 23 Jahren hier, beobachte aber die Entwicklung des Ortes mit ziemlicher Sorge. Jedes Frühjahr erklingt regelmässig das Konzert der Kettensägen, das Abholzen von Bäumen durch private Grundstückseigentümer und natürlich auch durch die Stadt z.B im Rahmen von Strassenbaumassnamen ist an der Tagesordnung. Gerade im privaten Bereich kann ich auch keine Ersatzpflanzungen für die Fällungen beobachten. Grundstücke werden mit Häusern großer Grundfläche und zwei Vollgeschossen zugepflastert. Früher wurde nur eineinhalbgeschossige Bauten genehmigt. In unserer Stadt findet der Umweltschutz schon lange nur noch mit der Kettensäge statt. Das geplante Wohngebiet für 3000 Menschen fügt sich da gut ein. Schön heute findet man keinen Parkplatz am Bahnhof, wenn man aus Umweltgründen die Öffis benutzen will, von dann fehlenden Schulen, Kitas, nicht mehr ausreichender ärztlicher Versorgung, noch mehr Verkehrsaufkommen ganz zu schweigen. Sicherlich sehen das viele Mitbürger mit ähnlicher Sorge und vielleicht wäre es eine Möglichkeit, diese Besorgnis mal gemeinsam in die Öffentlichkeit zu tragen und so auch unseren Abgeordneten zu kommunizieren.
Geschrieben von B.Theimer am 26.04. 2018 20:37
meine Gäste sind begeistert vom Wasserturm, Wald und Feld, Sie können sich nicht vorstellen und haben auch kein Verständnis dafür das dieses von der Natur gestaltetes Areal kaputt gemacht wird. Übrigens hat man sich mal die Frage gestellt, warum viele nach Hohen Neuendorf ziehen wollen, sicherlich weil es in Hohen Neuendorf noch schöne naturbelassene Orte gibt, wie das Umfeld vom Wasserturm. (übrigens was wird dann mit den Molchen ???? Es gibt sie, einer meiner Gäste hat diese Tiere gesehen und in einer Schachtel mitgebracht um uns darauf aufmerksam zu machen. Der Anbau am Rathaus ist in seiner Form ein hässliches Teil, wir werden öfter gefragt ob es ein Parkhaus für Autos ist. !!! Wenn wir es verneinen ernten wir nur ein Kopfschütteln. (auch den Abriss des Alten Dorfkruges konnten und können wir nicht nachvollziehen.) Warum will man so viele Menschen nach Hohen Neuendorf holen wenn die Infrastruktur nicht passt. und die Probleme vorprogrammiert sind ??? Wir sind sehr traurig über diese Entwicklung !!!